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Redebeitrag der PAKT-Gruppe Erfurt beim Landesparteitag der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) am 8.9.2001
Eine Bewegung ist eine Bewegung ist keine Partei.
Solid/Julith [Anm.:der PDS nahestehende Jugendorganisationen] haben uns gebeten, heute hier ein paar Worte über den Stand der Anti-Globalisierungsbewegung zu verlieren.
Mit dem Titel Antiglobalisierungsbewegung werden in letzter Zeit verschiedene Gruppen und Zusammenhänge bezeichnet, die mit unterschiedlichen Mitteln auf diversen Großereignissen, wie zuletzt dem G8-Gipfel in Genua, ihren Protest ausgedrückt haben. Es demonstrierten Gewerkschaften, Autonome, FrauenLesben, NGOs, KommunistInnen, Kirchens und viele andere gegen Sexismus, Rassismus, Umweltzerstörung, Neoliberalismus, Kapitalismus, Armut und anderes.
Vorweg möchten wir klar stellen, dass wir keineswegs GlobalisierungsgegnerInnen sind und mit der Globalisierung eigentlich keine Probleme haben.
Wir trinken gern Kaffee aus Nicaragua und sehen keinen Unterschied darin, ob wir von transnationalen oder von bundesdeutschen Konzernen ausgebeutet werden. Wir sehen uns in Gegnerschaft zu den Verhältnissen, die diese Ausbeutung notwendig machen. Als antikapitalistische Gruppe gehören wir zu dem Flügel der Bewegung, der nach wie vor an einer grundsätzlichen Kritik von Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen festhält und für deren Überwindung kämpft.
Zum Stand der Bewegung
Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua waren mehr als 200.000 Menschen auf der Strasse.
Seitdem reißt die Debatte über die Ziele und Forderungen dieser internationalistisch orientierten Bewegung nicht ab.
In der öffentlichen Wahrnehmung stehen Organisationen wie ATTAC, die Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zu Gunsten der Bürgerinnen und Bürger, im Vordergrund.
Sie gehören zum reformorientierten Flügel der Bewegung. Dieser glaubt, dass die schlimmsten Auswirkungen des Kapitalismus durch kosmetische Korrekturen abzuwenden sind.
Dank professioneller Pressesprecherinnen und festangestellten Mitarbeitern entsteht in der Öffentlichkeit oft der Eindruck, als wären sie die einzigen Protestierenden, die inhaltliche Positionen anzubieten hätten.
Inhaltlich abweichende Positionen innerhalb der Bewegung finden selten Beachtung, statt dessen wird die altbekannte Spaltung zwischen legitimen Protest und den Untaten der gewaltbereiten Autonomen herbei geschrieben - Zum Glück hat dies relativ wenig mit der Realität zu tun. Angesichts von Hunderten Verletzten und einem Toten, die in Genua Opfer staatlicher Gewalt wurden, hat die Bewegung wirklich wichtigeres zu diskutieren als die Abgrenzung zu militanten AktivistInnen in den eigenen Reihen.
Zurück zu inhaltlichen Fragen
Wir halten eine grundsätzliche Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsweise nach wie vor für unerlässlich, denn die Mechanismen, die beispielsweise ATTAC kritisiert, sind nicht Auswirkungen eines besonders schlimmen Kapitalismus. Nein, sie gehören von Anfang an dazu, treten nur zu unterschiedlicher Zeit in unterschiedlicher Intensität zu Tage.
Es sind die Mechanismen, die Karl Marx im Kapital beschreibt und sie funktionieren heute wie vor150 Jahren!
Konkret: Unternehmen sind gezwungen, die Löhne niedrig zu halten, sich Steuervorteile zu verschaffen, den größtmöglichen Profit zu erzielen, dort zu investieren, wo Lohn- und Lohnnebenkosten am niedrigsten sind, Kapital zu akkumulieren - nur so bleiben sie konkurrenzfähig! Staatlich-regulative Eingriffe, wie sie von einem Teil der "Antiglobalisierungsbewegung" gefordert werden, wirken daher immer nur eine begrenzte Zeit, behandeln Symptome, verdecken Ausbeutungsverhältnisse und tragen zur Modernisierung des Kapitalismus bei.
Die Einführung einer Tobinsteuer funktioniert in eben dieser Logik.
Zusätzlich birgt sie jedoch eine große Gefahr in sich. Sie beruft sich auf das Bild vom bösen weltweit agierenden und spekulierenden Finanzkapital, das keine Heimat hat!
Die Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsweise wird auf eine bestimmte Einzelheit konzentriert. Die Tatsache, dass einzig verausgabte menschliche Arbeitskraft Wert schafft, der sich später auf dem Markt zu Gewinn materialisiert, dass also die Produktionssphäre Ausbeutung sicherstellt, wird vernachlässigt. In Deutschland hat diese verkürzte Kapitalismuskritik eine schreckliche Tradition - wurde doch seit dem Ende des letzten Jahrhunderts das Finanzkapital mit einem imaginierten Weltjudentum identifiziert, das danach als "volksschädigend" zur Vernichtung freigegeben war.
Zudem beinhaltet die alleinige Konzentration auf reformistische Forderungen ohne die weitergehende Kritik der Mechanismen, die den Missstand zwingend hervorbringen die falsche Analyse, der die Sozialdemokratie schon seit den 20er Jahren anhängt: Die Lüge, es könne einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz geben.
Die Bewegung schafft es momentan mehr Menschen zu mobilisieren, als jede andere linke Bewegung der letzten 15 Jahre. Deshalb wollen zur Zeit alle daran teilhaben.
Die Grünen entdecken plötzlich ihre Kritik an der Globalisierung und Gerhard Schröder hat auf einmal Verständnis für "unsere" Ziele, auch wenn er vor Genua noch meinte, man müsse mit aller zur Verfügung stehenden Härte gegen sogenannte gewaltbereite Störer vorgehen - was nebenbei bemerkt dann ja auch geschah.
Die AntiFa empfiehlt die Teilnahme an den Protesten und auch unsere Anwesenheit hier und heute wäre ohne die erfolgreichen Proteste von Genua, Seattle und Prag kaum denkbar.
Aber die Erfahrungen der Anti-AKW-Bewegung haben uns gelehrt skeptisch gegenüber Vereinnahmungsversuchen aller Art zu sein. Wir können natürlich auch in Zukunft gemeinsam demonstrieren, aber mehrere unserer Grundauffassungen sind sicher nicht mit denen eurer bzw. jeder anderen Partei vereinbar.
Leider zeigen uns die Regierungsbeteiligungen der PDS auf Länderebene, dass auch von dieser/eurer Partei nicht mehr viel zu erwarten ist, sobald sogenannte Sachzwänge zu kapital- und standortfreundlicher Politik zwingen.
Sei es die Zustimmung zur öffentlichen Videoüberwachung oder nicht durchgesetzte Verbesserungen für AsylbewerberInnen auf kommunaler Ebene. Uns zeigt dies, dass der parlamentarische Weg keine emanzipatorischen politischen Entwicklungen zulässt - das nur eine Bewegung auf der Strasse, die von möglichst vielen Menschen unterstützt wird, gesellschaftliche Veränderungen einfordern kann.
Und genau hierfür scheint die Antiglobalisierungsbewegung uns als der vielversprechendste Versuch seit langem, darum demonstrierten wir in Genua, darum stellen wir uns Diskussionen.
Die Bundestagsfraktion und der Parteivorstand der PDS haben zur Teilnahme an einer Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes zum Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge am 21. September im belgischen Lüttich und zur Unterstützung der weltweiten Aktionstage gegen die WTO-Runde im November aufgerufen. In einer Pressemitteilung unterstützen sie die Forderung nach einer Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer und nach einer Steuer auf alle Gewinne aus Finanztransaktionen, die sogenannte Tobinsteuer.
Unsere Kritik an der Tobin-Tax haben wir schon geäußert, zur Forderung nach Schuldenerlass möchten wir noch zwei Sätze sagen:
Natürlich ist die von Betroffenen im Trikont vorgetragene Forderung, Schulden, aus einer 500 jährigen kolonialistischen und imperialistischen Tradition zu erlassen, um den betroffenen Ländern mehr Spielraum gegenüber der neokolonialistischen Politik von IWF und Weltbank zu geben, nicht falsch.
Jedoch besteht auch hier das Problem, dass kaum noch benannt wird, welche Macht- und Herrschaftsstrukturen zu den Schulden geführt haben und dies auch nach einem Schuldenerlass wieder tun werden, wenn sich nichts Grundlegendes ändert.
Wie anschlussfähig die alleinige Konzentration auf Tobin-Tax und Schuldenerlass ist, zeigt die Tatsache, dass mit Gerhard Schröder der Vertreter der neoliberalen Schule der Sozialdemokratie diese Forderungen mittlerweile zu der seinen gemacht hat.
Für uns bleibt es daher, und da wiederholen wir uns gern, weiterhin unerlässlich, eine grundlegend antikapitalistische Position zu beziehen, von der sich eure Partei leider im Zuge der Diskussion um ein neues Parteiprogramm verabschiedet.
Im von Gabi Zimmer am 27. April 2001 vorgelegten Programmentwurf heißt es im Kapital 1.:
Sozialismus - Ziel, Weg und Werte: "Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse sind wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz. Die heutige gesamtgesellschaftliche Dominanz von Profit ist jedoch mit unserer Vorstellung von Gerechtigkeit und mit der durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Sozialpflichtigkeit des Eigentums unvereinbar. Weil wir das persönliche Eigentum von Menschen als eine Grundlage freier Selbstbestimmung verteidigen, lehnen wir die Vorherrschaft kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ab, die Millionen von Menschen um dieses persönliche Eigentum bringt."
In dieser Formulierung stecken genau die von uns oben hinterfragten Annahmen. Zum einen wird die "heutige Dominanz" des Profitstrebens angeprangert, zum anderen eben dieses als für Innovation unerlässlich dargestellt. Auch ein positiver Bezug auf Effizienz, also rücksichtsloses Kosten-Nutzen-Denken sollte sich verbieten, stellt es doch einen wesentlichen Punkt in einer auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Ideologie dar. Mit der Ablehnung einer angenommenen "Vorherrschaft kapitalistischer Eigentumsverhältnisse" würde sich die PDS vollends von einer Analyse des kapitalistischen Gesellschaftssystems verabschieden, denn so wie kein Mensch ein bisschen schwanger sein kann, gibt es nicht "ein bisschen Kapitalismus".
Im Gegenteil beruht die Wirkungsmächtigkeit des Kapitalismus wesentlich auf der Tendenz, alle Lebensbereiche warenförmig zu organisieren. Die apersonale Herrschaft des Kapitals zwingt sowohl Lohnabhängige als auch Kapitaleigner zum Handeln innerhalb festgeschriebener Kriterien! Und genau diese gesellschaftliche Totalität gilt es zu kritisieren - dieser Kritik steht jedoch ein positiver Bezug auf die "kleinen Akteure" - im Programmentwurf heißen die dann "kleine und mittelständische Unternehmen" - diametral entgegen.
Schließen möchten wir mit einem Zitat von Karl Marx. Jener hat 1865 über die Rolle der Gewerkschaften das folgende geschrieben. Es gilt genauso für sozialistische Parteien: Sie "tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems."