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Hier dokumentieren wir zwei Texte, die sich mit der Auswertung des dezentralen Aktionstages am 1.6.2000 anlässlich der EXPO-Eröffnung befassen. Der erste ist eher pessimistisch während der zweite dem 1.6. noch ein paar positive Seiten abgewinnt.
Pessimistisch
Optimistisch
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Dezentral, zentral, scheißegal!?
oder
Nach der EXPO kann es nur noch aufwärts gehen?
Der 1. Juni ist vorbei. Die EXPO konnte ohne größere Störungen durch Protestaktionen ihre Pforten öffnen (daß sich nur so wenig Menschen ihre extra für sie ausgestellte Zukunft anschauen wollten, lag bestimmt nicht am Anti-EXPO-Widerstand).
Auch der Kapitalismus ist noch nicht von der aktuellen Tagesordnung der Menschheitsgeschichte gestrichen worden. Somit sind weder die Fern- noch die Nahziele der Anti-EXPO-Bewegung erreicht worden. Und das liegt nicht unwesentlich am kläglichen Scheitern des angestrebten dezentralen "Direkte-Aktions-Konzept", mit welchem gegen die EXPO mobil gemacht wurde. Deshalb soll es im folgenden um eine Kritik an dieser Strategie gehen.
Das dezentrale Konzept wurde aus zwei wesentlichen Gründen als praktikabel angesehen. Einmal hatten die Aktionen gegen den Doppelgipfel in Köln 1999 gezeigt, daß große zentrale Aktionen nicht unbedingt einen starken Ausdruck nach sich ziehen. Die zwei Großdemonstrationen (die erste mit 30.000 TeilnehmerInnen) wurden völlig totgeschwiegen und somit der Widerstand gegen den IWF- und EU-Gipfel unsichtbar gemacht. Deshalb wurde schon im Auswertungsreader der Gegenaktivitäten in Köln (mit dem bezeichnenden Titel "Nach dem Gipfel kann es nur noch aufwärts gehen!") für die EXPO ein dezentrales Konzept vorgeschlagen. Zum zweiten war eben dieses Konzept zweimal sehr erfolgreich gewesen. Am 18.6.99 beim antikapitalistischen "Global-Action-Day" in London, wo die Infrastruktur der Innenstadt quasi lahmgelegt wurde und bei der Blockade des WTO-Gipfel in Seattle im Dezember ´99, als 50.000 Menschen den Tagungsort dicht machten.
Also sollte auch in Hannover mit vielen kleinen und größeren Blockade- , Kommunikationsguerilla- oder Besetzungsaktionen die Infrastruktur empfindlich gestört und somit die EXPO-Eröffnung wenn nicht ver- so wenigstens behindert werden.
Mit den positiven Beispielen London und Seattle vor Augen hätten also viele antikapitalistische, antiimperialistische, antirassistische und antifaschistische Gruppen fast ein Jahr Zeit gehabt, sich auf die EXPO-Eröffnung vorzubereiten, das Konzept zu diskutieren, zu kritisieren, eventuell zu modifizieren. Das Debakel vom 1. Juni zeigt, daß dies nicht gewünscht war!
Schon die Bundesweite Demonstration gegen die EXPO, die schließlich auf Wunsch einiger Gruppen nach wenigstens einer zentralen Aktion doch noch angemeldet wurde, hatte nur 700 Menschen statt erhoffter 2.500 nach Hannover gelockt. Hier wurde auch klar, wie erfolgreich die Strategie der EXPO-MacherInnen war, kritische NGO´s "einzukaufen" und somit den linksliberalen EXPO-Widerstand kritisch zu integrieren. In Hannover ist fast die Hälfte der EinwohnerInnen gegen die EXPO, trotzdem war die Demo eine rein linksradikale, ohne Beteiligung irgendwelcher gemäßigter Gruppierungen. In der bürgerlichen Presse war teilweise zu lesen, die VeranstalterInnen hätten 30.000 Menschen zur Demonstartion erwartet. Dies kann nur als eine Diffamierungsstrategie gegenüber der Anti-EXPO-Bewegung begriffen werden. Es sollte gezeigt werden, wie unbedeutend und doch selbstüberschätzend der Widerstand gegen die EXPO ist.
Wieviele AktivistInnen dann am 1. Juni unterwegs waren, ist schwer zu sagen. Ich denke, weniger als 1.000 und damit viel zu wenig. Somit hatte die Polizei mit 8.000 Einsatzkräften, die an allen größeren Straßen im Fünf-Minuten-Takt Streife fuhren, zu keiner Zeit größere Probleme. Bezeichnenderweise erst am frühen Abend, nach einer unangemeldeten Spontandemo (also einer zentralen Aktion) kam es zur Konfusion. Wahrscheinlich war die letztgenannte Aktion die, welche noch die größte Öffentlichkeit erreichte, die EXPO verhindern konnte jedoch auch sie nicht im Entferntesten!
Warum nun ließen sich nicht mehr Menschen gegen die Zukunftsshow des globalisierten Kapitalismus, gegen die Rückmeldeausstellung der Berliner Republik als ernstzunehmende Weltwirtschaftmacht mobilisieren. In Erfurt wurde im Prinzip seit dem Doppelgipfel auf die EXPO hingearbeitet - in einem viel zu kleinen Kreis, der aber auch kein größeres Interesse wecken konnte. Schon Ende 1999 gab es eine Veranstaltung zur EXPO - die schlecht besucht war. Selbst in dieser Zeitung waren ständig Artikel zur Anti-EXPO-Bewegung zu lesen. Ist es also auch hier so, daß zwar relativ viele Menschen zu Demos mobilisierbar sind, aber kaum Lust, Kreativität oder auch die Einsicht (?) da ist, direkt, aktiv und widerständig zu handeln? Oder erscheint es den Leuten wichtiger, immer wieder in Ein-Punkt-Zusammenhängen ihre Ablehnung gegenüber den herrschenden Verhältnissen auszudrücken? Daß der Kapitalismus als ein Grundübel in allen Unterdrückungsverhältnissen wiederzufinden ist, ist bekannt - und wird oft genug in Redebeiträgen angeprangert. Doch die Notwendigkeit, sich dann auch gegen Riesenwerbeschauen für die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse wie die EXPO zu wenden (und dort eigene Schwerpunkte, wie Rassismus, Neofaschismus, neuer Kriegsimperialismus, moderne Biopolitik einzubringen, zu kritisieren und zu bekämpfen), wird nicht erkannt.
In der bundesweiten Anti-EXPO-Mobilisierung hätte zum Beispiel die Nichtbeteiligung der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) hinterfragt werden sollen. In ihrem Konzept des "Revolutionären Antifaschismus" nimmt eine Kapitalismuskritik, wenigstens als Formulierung, einen wesentlichen Platz ein. Noch in Köln beteiligten sie sich an den Großdemonstrationen gegen den Doppelgipfel. Und gerade die AA/BO, als organisierte Struktur von Autonomen Gruppen sollte eigentlich das Zeug haben, eine dezentrales Konzept sowohl inhaltlich, als auch logistisch anzukurbeln. Einerseits muß dann die Kritik natürlich an die AA/BO gehen, sich nicht an den Gegenaktivitäten beteiligt zu haben (und ihre Kapitalismuskritik endlich mal inhaltlich zu füllen), andererseits auch an die Anti-EXPO-Bewegung, den Dialog nicht oder vielleicht nicht genügend deutlich gesucht zu haben. Bei der derzeitigen Lethargie der radikalen Linken ist jedoch eine Mobilisierung ohne breites linksradikales Bündnis unmöglich!
Mit den Aktionen am 1. Juni zeigte sich, daß der oft unhinterfragte Militanzfetisch der radikalen Linken wirklich größtenteils aufgesetzt ist und zur reinen Symbolik verkommen (...ist diese Erkenntnis neu?). Das Blockadekonzept ist ein originär militantes - jeder und jede muß sich von Anfang an bewußt sein, daß es gilt, bestimmte Regeln zu brechen und daß die Folgen unter Umständen nicht ausbleiben. Und genau hier liegt der wunde Punkt. Bei der derzeitigen Situation der Linken sind immer weniger AktivistInnen bereit, Risiken in Kauf zu nehmen, also wirklich regelverletztende Aktionen zu organisieren. Das schwächt den Widerstand (und die eigene Überzeugung) zusätzlich. Ein Teufelskreis!
Nur ignorierten dies die BefürworterInnen des Blockade-Konzeptes völlig. Noch in den Achtzigern gab es auch völlig andere Bilder - Massenmilitanz an der Startbahn und an AKW-Bauplätzen. Doch das ist Geschichte. Der neuen Situation sollte umsichtig begegnet werden - das bedeutet meines Erachtens, mehr Wert auf Meinungsbildung besonders auch in der Linken selbst zu legen. Leute müssen wieder eine Perspektive im antikapitalistischen Widerstand sehen. In diesem Sinne war das Konzept und seine Umsetzung eher ein Schritt zurück als nach vorn (denn es hat unsere derzeitige Schwäche nur einmal mehr eindrucksvoll bewiesen)!
Wie nun mit der Lethargie der hiesigen Linken/Linksradikalen umgehen? Keineswegs jedenfalls so ignorant, wie die BefürworterInnen des dezentralen Konzeptes. Denn spätestens in der heißen Phase der Vorbereitung mußte klar werden, daß die Beteiligung sehr gering sein würde. Warnende Gruppen wurden jedoch sofort als Spalter geoutet und der einmal eingeschlagene Weg unbeirrt fortgesetzt. Doch eine vernünftige Betrachtung der gegebenen Verhältnisse hätte auch ein kurzfristige Umplanung möglich und erklärbar gemacht. So wurden die paar AktivistInnen, die doch den Weg nach Hannover gefunden hatten, böse überrascht.
Der Verkehr wurde völlig falsch eingeschätzt. Die zu blockierenden Straßen waren leer! Der Mythos, daß die Infrastruktur Hannovers soooo anfällig sei, daß schon eine kleine Blockade reichen würde, die ganze Stadt ins verkehrstechnische Chaos zu stürzen, wurde ständig weiter lanciert - und entpuppte sich als "Propagandatrick" des Anti-EXPO-Widerstandes! Das größte Interesse weckte schließlich doch eine zentrale Aktion (nämlich die Spontandemo am frühen Abend in der Innenstadt) - die zuvor geplante Besetzung der Aegi-Straßen mittels des Blockadekonzeptes mißlang (obwohl einige „Todesmutige" es versuchten - jedoch der Großteil der Anwesenden nicht folgte und die Polizei frühzeitig einschritt).
Inhaltlich war an diesem Tag nix, aber auch gar nix vermittelbar. Zwar war eigentlich der 2. Juni als „Agitationstag" geplant, jedoch muß dies als schwerer Fehler angesehen werden. Zu vielen Menschen mußte einfach unklar bleiben, warum am 1. Juni über 30 Müllcontainer abbrannten, immer wieder "defekte" Fahrscheinautomaten herumstanden oder kleine Yuppie -Gruppen Mülltonnen auf Straßen schleppten. Mit einer zentralen Blockade des EXPO-Einganges hätte zum Beispiel inhaltlich wesentlich mehr transportiert werden können.
Im weiteren Widerstand gegen die EXPO halte ich es für dringend notwendig, mehr klassische Aufklärung zu betreiben - dem oberflächlichem technischen Warengesellschaftsfetischismus der EXPO-MacherInnen etwas entgegenzusetzen. Da in diesem Sinne jedoch kaum "sich selbst erklärende" direkte Aktionen möglich sind (da sich die EXPO-Projekte ja stets nachhaltig und ökologisch zeigen), heißt es , ihre "Schöne neue EXPO-Welt" zu demaskieren. Nachvollziehbar zu demaskieren!
Auf breite Diskussion und vielfältigen Widerstand hoffend!
D. Zentral
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Der 1.6. war ein Schlag ins Wasser - für uns und für die EXPO
Über 60 Aktionen am 1.6., darunter eine Blockade des Messeschnellwegs, eine Agit-Prop-Geschichte direkt am EXPO-Gelände, umfangreiche Präsenz des EXPO-Widerstandes in der Hannoveranischen Innenstadt, brennende Autoreifen auf der ICE-Strecke und brennende Müllcontainer auf Hannovers Straßen.Dazu eine Ausstellung, die in der Öffentlichkeit mehr mit Pannen in Erscheinung tritt als mit Inhalten: Schröder eröffnet das Ding vor der Eröffnung durch den Bundespräsidenten und spricht von "Brot und Spielen"; weniger als die Hälfte der erwarteten Besucherinnen, weswegen 600 ZeitarbeiterInnen auf die Straße gesetzt werden, etc.
Zwei Sachverhalte, die deutlich machen, daß die Eröffnung der EXPO aus ihrer Sicht schief gegangen ist. Der Mehrheit der Bevölkerung ist die EXPO einfach scheißegal, weil sie genau so wenig wie wir glaubt, daß die neoliberalen Marktanbeter zusammen mit den zivilgesellschaftlichen Nachhaltigkeitspfeifen ein Interesse daran haben, ihre Lage zu verbessern.
Die Chance, auf diese Menschen einzugehen, und ihr diffuses "Dagegen" als Anknüpfungspunkt für die Vermittlung antikapitalistischer Positionen zu nutzen, wurde durch die repressive Taktik der Polizei zunichte gemacht nach dem 1.6. haben einfach die Hälfte der Leute gefehlt.
Nichts desto trotz haben wir am 1.6. gezeigt, daß direkte Aktionen trotz unzureichender Planung und trotz einer gut vorbereiteten, ungemein zahlreichen Polizei in kleinen Gruppen erfolgreich durchgeführt werden können. Daß die Öffentlichkeit von unseren Aktionen nur am Rande Notiz genommen hat, liegt sicherlich daran, daß wir eben nicht wie in Seattle 50.000 waren, sondern höchstens 1000 und unser hoch gestecktes Ziel, die Eröffnung zu verhindern nicht annähernd erreicht haben.
Zur Erklärung dafür ist ohne das, was an Direkter Aktion in einzelnen Schwerpunkten wie z.B. Anti-AKW oder Tierrechte passiert, zu leugnen zu benennen, daß eine breit vernetzte Direct-Action-Bewegung, die sich als strömungsübergreifend und radikal links begreift, in der BRD gerade mal im Aufbau ist.
Wenn wir den 1.6. als ersten Versuch begreifen, eine solche antikapitalistische und handlungsfähige Bewegung ohne Köpfe zu etablieren, dann müssen wir diesen Tag zumindest als teilweisen Erfolg verbuchen.
Was nun angebracht ist, ist eine kritische Nachbereitung.
Zu hinterfragen wäre die bundesweite Vorbereitung, die einzig und allein auf ein Kleingruppenkonzept bezogen war und außerdem von einer fatalen Fehleinschätzung der Lage ausgegangen ist wie gesagt, das Verkehrschaos ist ausgeblieben und die Polizei war erstklassig auf unser Vorgehen vorbereitet.
Ich will hier nicht beurteilen, in wie weit dies voraussagbar gewesen wäre. Die Lehre, die wir jedoch aus dem Auftreten der Polizei (Streifen im 3-Minuten-Takt, sofortiges Weghaften bei jedweder Aktivität) ziehen müssen ist, daß es keinen Sinn macht, ein spontanes Kleingruppenkonzept bundesweit zu planen und breit öffentlich zu machen, wenn wir nicht davon ausgehen können, daß wirklich viele Menschen daran teilnehmen.
Zumindest entschuldigen läßt sich diese Planung mit den Erfahrungen in Köln 99. Die beim dortigen Weltwirtschaftsgipfel durchgeführten Wanderkessel-Demos wurden im Nachhinein scharf kritisiert.
Diese Kritik war auch wichtig, aber die Konsequenz, dann eben keine zentrale Aktion anzubieten, hat sich als falsch herausgestellt. Eine große Demonstration hätte am 1.6. so viele Polizeikräfte gebunden, daß das Blockadekonzept trotz des fehlenden Verkehrschaos Möglichkeiten geboten hätte.
Des Weiteren ist der Prozeß der Entscheidungsfindung zu kritisieren viele Kleingruppen standen am 1.6. in Hannover und waren angesichts der nicht vorhergesehenen Situation nicht in der Lage, spontan ihr geplantes Konzept umzuwerfen und ein neues zu entwickeln.
Auf den Punkt gebracht, sind wir genau wie die meisten sogenannten NormalbürgerInnen schwer in der Lage zu handeln, wenn uns niemensch sagt, was wir tun sollen und genau hier unterscheidet sich das Kleingruppenkonzept von zentralistischen Ansätzen. Um das Konzept erfolgreich umzusetzen, müssen wir den Anspruch, daß wir uns alle als handelnde Subjekte begreifen, die sich einbringen und das nicht erwartete tun, konsequent zu leben.
Und genau das ist dringend notwendig. Nur wenn wir es schaffen, die autoritären Strukturen, die die bürgerliche Gesellschaft in unseren Köpfen angerichtet hat, zu überwinden, können wir eine wirklich emanzipatorische Bewegung aufbauen.
Genau hier liegt das Problem: Die EXPO ist eine neoliberale Werbeveranstaltung, Kapitalismus ist böse und wir müssen dagegen was tun dies ist zumindest der "Szene" klar.
Leider läßt sich ein Vielfaches an Menschen dafür mobilisieren, in abgezählten Achterreihen dem Fronttranspi nachzulaufen und den Redebeiträgen der Szene-Intelligenz zu lauschen anstatt selbstbestimmt und organisiert zu agieren.
Genau das müssen wir ändern. Wie gesagt, für die meisten Menschen ist das Konzept neu, Erfahrungen sind nicht vorhanden. Im Vorfeld der Ausstellung stand sicherlich eine Beschäftigung mit dem Thema, doch was nützt alles theoretische Wissen über Lock-Ons und Car-Walking, wenn in der streßbelasteten Situation nicht mal eine Blockade durchgezogen wird, weil vor Ort die Unsicherheit und Angst obsiegt?
Hannover war aber eine Erfahrung. Wenn wir es als solche begreifen und die begangenen Fehler nicht wiederholen, konkret:
- die Notwendigkeit der Gleichzeitigkeit von zentralen, legalen Aktionen und Direkter Aktion in Kleingruppen erkennen und
- das Agieren in und organisieren und vernetzen von basisdemokratisch organisierten Bezugsgruppen erlernen,
dann war der 1.6. ein Erfolg!
